• PMO Nr. 119 (2019/2):

    WAND | LUNG

    Das Licht geht langsam an, tiefe Gongtöne ertönen, der Boden beginnt, sich langsam zu bewegen. Eine Wüste? Ein Meer? Unter der riesigen Papierplane birgt sich das Leben. Man sieht zunächst nur die Bewegung, aber noch keine Form.

    Mit der poetischen Geburtsszene beginnen Alexej und Aleš Vancl vom FIGURO — Theater mit Puppen ihre „Wandlung“. Aus der gleichen Materie entstanden, bewegen sich die zwei Menschenwesen, die zunächst viele tierische Züge zeigen, tänzerisch und zugleich grotesk, ihre lustigen und überspitzten Bewegungen sind in eine raffinierte rhythmische Komposition eingebunden und mit der großartig schrägen Musik von Dietrich Eichmann verschmolzen.

    Vom bezaubernden Spiel mit Papier wechseln die Akteure zum skurrilen Maskentheater, um es wieder im Spiel mit Objekten aufzulösen und schließlich den Bogen über Pantomime zum klassischen Drama unerwartet wie elegant zu schließen. Die Regisseurin und Choreographin Anne-Kathrin Klatt aus Tübingen weiß mit Vielfalt der künstlerischen Mittel umzugehen und überzeugt durch Humor und Straffheit.

    Die brisante Inszenierung erzählt von Feindschaft, Trennung, Trauer und Frieden. Im knapp einstündigen Stück sprechen die Akteure kein Wort, denn dazu gibt es keinen Anlass: Schließlich haben sie zueinander nichts zu sagen. Um Neid und Angst auszudrücken ist das Schweigen ein geeignetes Mittel, insbesondere wenn es mit Humor verbunden ist, wie etwa in den Szenen, wo die maskierten Männer sich aus Papierfetzen Döner und Zeitungen basteln, um damit anzugeben und sich zu einem immer krasseren Wettstreit aufzuhetzen, der zu einer Katastrophe führt. Die großen Pappkisten, die die Akteure aus dem Nichts herausholen, verwandeln sich in riesige Lautsprecher, die einen absurden Klangsalat aus schrillen Politikerstimmen speien, die wie Sirenen ihre Opfer verführen und sie zum Untergang besingen. Nun werden aus den Lautsprechern Panzer, die Sirenen werden immer lauter und hören nicht eher auf, bis einer der Spieler fällt.

    Die Bühne — ein farbloser Pappraum — ist durch einen weißen Trennstrich geteilt, mit dem die Akteure konfrontiert werden — ebenso wie mit der Überwachungskamera (einem echten Roboter von Rix Dowidat, auf den jeder Überwachungsstaat neidisch sein dürfte!), die plötzlich von der Decke herunterfährt und zur Walzermusik die beiden mit sanfter Gewalt buchstäblich in die Knie zwingt. Auch der schwarze Humor gelingt: Der Strich verwandelt sich in eine Mauer, die Menschen sind am Boden, die Kamera triumphiert, und Eichmann weicht zugunsten von Mozart. Wie soll es weitergehen?

    Scheinbar wollen die Theatermacher die Zuschauer nicht dort entlassen, wo die Geschichte schon zu Ende erzählt ist. Die dramaturgisch etwas schwächere Schlussszene, in der die Akteure eine Lösung finden (und nun kommen endlich auch die Puppen ins Spiel!) überzeugt durch Poesie und brillante Puppenführung. Was dem Mensch nicht gelang, gelingt der Puppe: Die Grenze muss weg!

    Andrea Bräunling (mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)